Vogelfrei. [Rezension: Max Annas: Illegal]

41CuFxqEzvL._SX304_BO1,204,203,200_Keine Explosion, nur eine winzige, schroffe Geste an einer roten Ampel in Berlin (an roten Berliner Ampeln weiß man nie, was man tun soll) ist es, die Kodjo und den Roman in Bewegung setzt. Falscher Ort, falsche Zeit. Eine Polizeistreife hat Kodjo und seinen Freund Saif entdeckt und los geht die Verfolgung. Überhaupt ganz falsch ist Kodjo aus Ghana, illegal nämlich, heißt – ohne gültige Aufenthaltspapiere. Hat man nicht die passenden Zettel, ist man nichts und muss sich durchschlagen, aufpassen, dass man niemandem in die Quere kommt, der Staatsmacht nicht und nicht dem Durchschnittsrassisten, der sich auf der Straße rumtreibt. Unsichtbar muss man sein. Nicht einfach für einen großen schwarzen Mann, nicht einmal im hautfarblich bunten Umfeld der Hauptstadt. Aber Kodjo ist erfahren, seit zehn Jahren lebt er in Deutschland, und gut vernetzt. Der studierte Historiker arbeitet in einem kleinen, gut geführten Restaurant, „schwarz“ versteht sich, in dem es Wärme und Freundschaft gibt. Sein Ziel – „legal werden“ – ist ihm mit der Zeit abhanden gekommen. Als Sandra sich scheiden ließ, musste er Lösungen finden, jetzt. Keine Zeit für Ziele. Er könnte nach Ghana zurück, die Familie ist betucht, aber er will in Europa bleiben. Irgendein üblicher Familienstress hält ihn ab. Das ist ein interessanter Aspekt in Max Annas‘ Roman, denn nicht die Bedrohung durch Krieg und Folter ist es, die Kodjo zum Bleiben veranlasst, sondern schlicht der Wille, sich einen frei gewählten Ort zum Leben zu suchen. Und der Optimismus, dass er ihn findet. Bis dahin geht er Kompromisse ein. Die Beziehung zu Jeannette zum Beispiel, die zwei Jahrzehnte älter ist und ihm nicht interessenfrei Wohnung und freundlichen Sex bietet, ihn lieben würde, wenn er wollte, eine Zweckbeziehung für beide. Im umgekehrten Geschlechterverhältnis hat das seit der Sesshaftwerdung funktioniert und galt als sozial respektabel. Aber heute? Die romantische Liebe muss man sich leisten können. Die zunehmende ökonomische Autonomie von Frauen macht es den Jungs nicht leicht, in neue Rollen zu finden, unabhängig von der Hautfarbe.

Aus einer anderen Zweckbeziehung erwächst der Tod. Kodjo beobachtet aus dem Fenster des Abrisshauses, in dem er untergekommen ist, den Mord an einer Frau, einer Prostituierten, „Das Fenster zum Hof“ lässt grüßen, und gerät in ein Dilemma, das ihn zur Flucht zwingt. Er läuft. Weg von den Polizisten, die nach ihm fahnden, fort von den Sicherheitsleuten, die der Mörder, ein reicher Weißer, auf ihn hetzt und schließlich weg von den Kontrolleuren der Berliner Verkehrsbetriebe (das hat eine eigene Komik), quer durch Stadtteile und Parks.

Rasant treibt der Autor die Handlung voran, nur ein Zögern beim Busfahrer, der in konventionellem deutschen Alltag mit Familie und Geldsorgen steckt und den Nachtbus steuert. Die Handlungsstränge laufen aufeinander zu. Wo werden sie sich treffen, fragt man sich beim Lesen und beschleunigt den Herzschlag. So geht Suspense. Wie „Die Farm“ und „Die Mauer“ ist „Illegal“ getrieben von Handlung, erläuterungsfrei, eingedampft auf das Jetzt, das Aktion erfordert. Mittels Aktion wird ein Panorama der Metropole aus der Perspektive des „Gesetzlosen“ ausgebreitet, die Verschlossenheit der Türen, die Kälte der Straße und das Unbehaustsein in mitten europäischen Reichtums. Wie Kodjos Lauf ist die Sprache angemessen, ökonomisch und auf das Wesentliche reduziert. Das genügt diesem großartigen Roman.

Max Annas. Illegal. Roman. Rowohlt 2017, 235 Seiten, 19,- Euro

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