Ein junger Schwarzer sucht in der „Gated Community“ „The Pines“, einer Siedlung wohlhabender Weißer, gelegen inmitten der südafrikanischen Pampa, Hilfe wegen einer Autopanne, führt sonst ein modernes, studentisches Leben und heißt Moses. Gewiss ist der Name in den zwangschristianisierten Gebieten des Kontinents so häufig wie hier Michael oder Andreas, dennoch kann man die Geschichte des aus den Fluten des Nil erretteten Kindes und die Pessach-Narration nicht NICHT mitassozieren – den Tausch von gesicherter Knechtschaft gegen eine unsichere Freiheit.
Kaum ist Moses auf der Suche nach dem Haus eines Kommilitonen unterwegs, macht die Security ihn, den schwarzen Mann und Inbegriff des Bösen, als Bedrohung aus. Bevor er auf die Knie gezwungen wird, läuft er weg und um sein Leben. Der Fremde, der Andere, das kennen wir, ist ja per se suspekt, selbst wenn er die Mehrheit bildet, aber keinen Zugang zu den Fleischtöpfen hat. In einem zweiten Handlungsstrang bedient sich ein schwarzes Pärchen auf Diebestour daraus, weil den beiden die Chance auf ein akzeptables Leben verwehrt wird.
Wachleute, Möchtegernhelden, Ängstliche und Polizei jagen den jungen Mann durch die von Kameras kontrollierte und von einer Mauer eingehegte Siedlung. Die Mauer ist gebaut, um die Kriminalität auszusperren, die das postapartheidliche Südafrika beutelt. Man könnte drinnen eine Idylle vermuten, wäre da nicht die Leiche, auf die das Einbrecherpärchen stößt und die es in eine Kühltruhe verfrachtet, denn die Lage spitzt sich zu und die Sonne sticht auf das zunehmende Chaos nieder. Fast slapstickhaft die Szenen, die die beiden in Schrank und Truhe verbringen, blind und handlungsunfähig den Kampfgeräuschen von draußen lauschend. Sie sind ebenso gefangen, wie Moses, der des Einbruchs und der Vergewaltigung bezichtigt wird, es von der Mauer ist. Sie ist es, die durch ihre Existenz zahlreiche Tote fordert, drinnen, erinnernd an die Mauern und Zäune der Weltgeschichte und an die Ideologien und Machtansprüche derer, die sie, im Rückblick wirkungslos wie die jüngere deutsche Geschichte zeigt, errichteten.
Max Annas, der lange an der Universität von Fort Hare zu nationalspezifischem Jazz forschte, benötigt kein generationsübergreifendes Epos, um von südafrikanischer Wirklichkeit, von Ungleichheit, Verteilungsunrecht und Ausgrenzung in der Welt zu erzählen, sondern lediglich zwei Stunden Eingesperrtsein. Je absurder die Unterstellungen der Verfolger gegen Moses werden, je mehr er in Bedrängnis gerät und die Leserin mit ihm, umso härter ist der Rhythmus der Sprache getaktet. Wie schon in seinem preisgekrönten Debüt „Die Farm“, dampft der Autor Rassismus, Bosheit, Gier und Gewalt auf wenige Augenblicke in begrenztem Raum ein. Gehetzt und getrieben kann man sich den Wendungen, die oft genug an der Mauer aufprallen, nicht entziehen, und bleibt ohne Aussicht auf Rettung und Befreiung durch einen göttlich geführten Exodus. Um herauszufinden, ob Moses einen Weg in sein nicht ganz hoffungsfreies Leben zurück findet, müssen Sie diesen scharfkantigen, temporeichen, brillanten Roman natürlich selbst lesen!
Vielleicht dann auf: „L’shanah haba’ah b’yirushalayim“, wie man so sagt.
Max Annas „Die Mauer“ Roman, Rowohlt, Hamburg 2016, 224 Seiten, 12,00 Euro
Hallo Anne!
Ich habe „Die Mauer“ auch gelesen und bin ebenfalls ganz angetan, was für ein Plot, sehr schön ein- und wieder ausgefädelt! Ich wollte dich noch kurz fragen, ob es in Ordnung ist, dass ich unter meiner Besprechung zu deinem Beitrag hier verlinkt und dich auch zitiert habe. Wenn ich das lieber rausnehmen soll, sag einfach bescheid!
Liebe Grüße, Philly
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Liebe Philly,
das ist schön, dass Du das Buch mochtest. Ich las Deinen Text.
Na klar, kannst Du verlinken, zitieren, was immer. Wir sind hier öffentlich 🙂
Liebe Grüße
Anne
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