Angst, geschichtet und vernetzt – „Die Installation der Angst“ von Rui Zink

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Angst ist erst einmal nix Schlechtes, schließlich kommen wir mit ihr auf die Welt. Sie schützt uns davor, vom Bären gefressen oder vom LKW überrollt zu werden. Wer ein bisschen knapp mit ihr versehen ist, entdeckt möglicherweise Amerika, ist aber auch gefährdet, einen frühen Tod zu sterben – an einem Unfall, an Koks, an Revolution. Damit Letzteres nicht passiert, kümmern sich in Rui Zinks Novelle säuberlich hierarchisierte Beamte darum, die Angst flächendeckend in den Häusern der Bürger zu installieren. Zwei von ihnen setzen den staatlichen Erlass in der Wohnung einer alleinstehenden Frau um. Doch bevor die Frau den Staatsdienern die Tür öffnet, versteckt sie ihren Sohn im Bad. (Frauen erhalten eine zweite Portion Angst, gewissermaßen natürlicherweise, wenn sie Mütter werden.)

Carlos ist der Rhetoriker, Sousa der Mann fürs Grobe. Es wird geschlagbohrt und gehämmert, vor allem aber geredet. Märchen assoziierte Geschichten werden materialisiert, an Urängste – das Dunkel, die Einsamkeit, die Schlange – wird angeknüpft, bis die Männer sich in Rage schwatzen. Wie Verkäufer bejubeln sie die „prächtigen“ Ängste: vor Gewalt, vor Fremden, vor Terrorismus, vor „dem Markt“, vor Krankheit und Armut, in irrwitzigen Dialogen, während die Frau ihren Sohn im Kopf hat, jede Geste beargwöhnt und schweigt. „Was sollte sie auch sagen?“ – eine sich wiederholende Frage. Nichts hat sie der Macht, auch der Macht der Worte, die ihre Privatestes okkupieren, entgegenzusetzen, denn die Angst wohnt längst bei ihr.

zink_1_1Rui Zink, geboren 1961 in Lissabon, ist eine bitterböse Satire und Kapitalismuskritik gelungen. Der Text ist angereicht mit Phrasen, Zitaten, Redewendungen, Sprichwörtern, Klischee, Anspielungen, sodass eine Kunstebene entsteht, in die sich die Beamten hineinreden und von der Wirklichkeit entfernen, ohne die Wendung zu ihren Ungunsten zu bemerken. Als die Männer ihren Fehler erkennen, ist es zu spät. Vielleicht hätte sie eine kleine Angst behüten können? Immerhin trugen sie ein ganzes Arsenal davon im Gepäck, z.B.: „Stellen Sie sich vor, sie hätten gern Angst vor einem Serial Killer. Heutzutage lieben die Leute ja Serial Killer, man könnte auch Serienmörder sagen, aber Serial Killer klingt technischer, wie Franchising, Spread, Benchmarking. ‚I’m into serial killing‘ klingt fast so gut wie ‚I’m a marketing expert‘, oder?“ Es folgt die Abrechnung mit der Separation des Bösen.

41NS9ZyibBL._SX314_BO1,204,203,200_Jede Menge Vieldeutigkeiten wie diese: „ ‚Ein Freund von mir arbeitet in einer deutschen Fabrik.‘ – ‚Wo der Stahl gehärtet wird.‘“ (man denke an „Wie der Stahl gehärtet wurde“, N. Ostrowski, 1932, schlimmster „sozialistischer Realismus“) vernetzen scheinbar Inkompatibles und verflechten Weltgeschehen mit der Narration davon. Das, aber auch die Verweigerung jeder Kausalität („Die Welt steht kopf. Und das nicht, weil ihr nach einer kleinen lasziven Kopulationsübung zumute ist. Die Welt steht kopf, weil sie kopfsteht.“), jeder Erklärbarkeit, machen die Lektüre der Novelle zu einem intensiven sich auf der Gefühlsebene abbildenden Ereignis. Bei aller Bedrohung, Anspannung, Hilflosigkeit und Wut – beruhigend ist, dass es keine Beruhigung gibt, nicht bis zum letzten Punkt.

Rui Zink, Die Installation der Angst, Novelle, Weidle Verlag, Bonn 2016, aus dem Portugiesichen von Michael Kegler, 120 Seiten, 18,- Euro, eBook: CulturBooks Verlag Hamburg, 12,99 Euro

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