Der Kongress KrimisMachen3 fand vom 1.-3. September in Hamburg statt. Schön war es, sich mit Menschen auszutauschen, die an unterschiedlichen Stellen der Buchproduktion wirken. In Gesprächen abseits der Panels, aber auch in der Diskussion stellte sich seltsamerweise die Frage der Motivation: Warum schreibe ich Kriminalromane? Die kenne ich schon, seit ich ganz frisch in den Literaturbetrieb geraten war. 2011 befragte ich Autoren des Syndikats danach, weiter unten stehen noch einmal Ergebnis und Interpretation. Dass sich die Frage nach dem „Warum“ auch heute und für arrivierte Autor*innen stellt, hat mich überrascht. Zwar ist die Frage nach dem Motiv interessant, sagt aber wenig über den Gegenstand, also mehr oder weniger gelungenen Text aus. „Wie“-Fragen können ohnehin viel mehr … Vielleicht kümmere ich mich noch um sie. Hier erst einmal die kleine Umfrage von 2011:
Krimi – Warum das denn?
Da komm ich hier ahnungslos rein, also in den Krimi-, Literatur-, Buchbetrieb, will mir gerade ein Bier bestellen und was passiert? Es gibt Streit. Vorsichtshalber geh ich in Deckung neben der Klotür und schau zu. An dem einen Ende vom Tresen ereifern sich Lektoren und Verleger über Berge von schrottigen Manuskripten, am anderen klagen Autoren über Ablehnungen, mangelnde Verkaufszahlen, unzureichende Wertschätzung. Gegenüber regen sich Buchhändler über Folianten von Katalogen mit gigantischen Titelzahlen auf und wettern auf Buchsupermärkte. Hinter Bücherstapeln starren Kritiker in ihren Schnaps. Manchmal erschüttert ein Schmerzensschrei aus ihrer Ecke das Gebäude. Ein verschreckter Leser flieht, die anderen winken dem Keeper und singen. „Einer geht noch …“ Jeder in dem Laden hat seinen Platz. Nach zwei, drei Bier trau ich mich weg von der Klotür und frag eine aus der Autorenrunde, was hier los ist.
„Wir ärgern uns“, sagt sie.
„Das sieht man“, sag ich.
„Nie ist was gut genug“, sagt sie. „Obwohl ich zum Beispiel …“ Sie wirft das Haar zurück und macht eine Pause. „… fünf Bücher auf der Bestsellerliste.“
„Aha“, sag ich. „Is doch prima.“
„Nein“, sagt sie. „Die da …“ Sie macht eine unspezifische Armbewegung. „ … behaupten, deutsche Krimis sind Mist.“
„Ach“, sag ich und fühl mich nicht so besonders. „Und wie kommt das?“
Aber sie hört mir nicht mehr zu, sondern schüttet einem der Verleger ihren Wein ins Gesicht. Irritiert zahle ich und gehe. Die Frage nehme ich mit.
Draußen folge ich der Straße und dem Gedanken. Nehmen wir an, es gäbe viel Mist unter der Lawine von Kriminalromanen, die jedes Jahr den Buchmarkt überrollt. Eingestehen muss ich, dass ich einiges an Unsinn gelesen habe auf der Suche nach dem Besonderen, dem Nachhaltigen, dem „guten Krimi“ und mich nicht nur im Muttersprachlichen geärgert habe. Ich krame den Flachmann aus meiner Handtasche, nehme einen Schluck und denke, dass das ziemlich schade ist. Aber wie kommt das? So viele kluge Leute, die Krimis schreiben. Warum sind so wenig gute dabei? Man müsste sie fragen, denk ich, warum sie überhaupt welche schreiben. Motivationen geben Auskunft über die Steuerung und Aufrechterhaltung von Handlungen. Ähm, ja, is klar. Wenn man die kennt, hat man immer noch keinen guten Krimi. Ich trinke noch einen Schluck. Aber man könnte die externen (nee, extrinsischen? is ja auch Latte) Motivationen darauf ausrichten und dann … muss ich mich erstmal ausschlafen.
Am Tag darauf geh ich wieder hin. Diesmal bin ich vorbereitet. Nix Klotür. Ich mische mich unter die Autorengruppe. Mein Interview für eine kleine, qualitative Studie beinhaltet genau eine Frage: Warum schreibst du Krimis? Mit dem Bier in der Hand ist es mir unmöglich, genau zu transkripieren. Unwissenschaftlich, denke ich, aber macht nichts. Für eine Übersicht muss es genügen. Bereitwillig wird geantwortet und ich finde neue Freunde.
Folgende Aussagen habe ich erfasst und mittels eines online-Umfrage-Tools den Autor*innen des „Syndikats“ zugänglich gemacht. 119 Kollegen haben sich beteiligt, eine ganz ordentliche Stichprobe, wie ich finde.
Nun sitze ich vor dem Rechner und schau mir die Antworten an. Was mache ich jetzt damit? Wer Fragen stellt, übernimmt Verantwortung. Da hab ich den Salat. Ich gieße mir ein Bier ein, grübele. Am besten ich fasse die den Antworten mutmaßlich unterlegten Motive zusammen. Abgesichert ist gar nichts. Alles kann auch ganz anders sein. Das müsste man erfragen. Aber wer Fragen stellt …
Ich greife die Fragen heraus, die deutlich (signifikant? … wahrscheinlich, aber nicht geprüft) mit ja beantwortet werden, weil ich ja wissen will, warum? und nicht: warum nicht?.
Gleich bei Frage 1 (Ich schreibe Krimis, weil ich sie selbst gern lese.) bleibe ich stecken. Von den Befragten lesen ca. 18% nicht gerne Krimis. Ach? Aber sie schreiben welche. Bedauerlich, dass ich nicht nachhaken kann, denn eine sinnvolle Interpretation habe ich dafür nicht. Die Motive für die erwartungsgemäße Ja-Antwort (82,2%) werden sich von denen der „Nur-Lesern“ wenig unterscheiden und sind vielgestaltig, vermute ich: Neugier, Anstatt-Erleben, Abenteuer und/oder Ästhetik.
Frage 5 (Ich schreibe Krimis, weil ich so meine Neugier befriedigen kann, im Rahmen von Recherche z.B.) sagt schon, was sie fragt: Es geht um Interesse, Neugier, Lernen, bei 57,3% bevorzugte Motive.
Die Fragen 9 (Ich schreibe Krimis, weil mich das Rätsel fasziniert. 72,0%) und 15 (Ich schreibe Krimis, weil ich ein intelligentes, komplexes, unterhaltsames Rätsel gestalten will. 74,6%) richten sich auf das Rätsel: Neugier, Lust am Spiel, Freude am Analytischen mögen hier die Triebfedern sein.
Auch Frage 12 (Ich schreibe Krimis, weil ich einen Sachverhalt, die Tat, aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten will. 66,4%) könnten Neugier und Freude am Analytischen zugrunde liegen.
Interessant ist Frage 17 (Ich schreibe Krimis, weil ich Figuren in existenziell bedeutsamen Situationen agieren lassen will.) Immerhin 77,1% antworten mit ja. Anstatt-Erleben i.S. von Antevision zur Herstellung von Sicherheit oder aber Macht, Aggression und Anstatt-Erleben i.S. von Strafvermeidung wären denkbare Antriebe.
Im Gegensatz dazu wird nämlich Frage 10 (Ich schreibe Krimis, weil ich ohne Konsequenz Leute „umbringen“ kann.) von 70,1% abgelehnt. Hier würde ich Aggression und Anstatt-Erleben i.S. von Strafvermeidung (gemeint ist Sublimierung statt Ausagieren von Aggression) unterlegen.
Im Vergleich wäre Anstatt-Erleben i.S. von Antevision zur Herstellung von Sicherheit bedeutsamer. (Hier ist gemeint: Ich stelle mir vor und schreibe auf, was an Schrecklichkeiten passieren könnte und finde im Imaginären Lösungen, dem zu entgehen.)
Mein Bier ist alle und ich muss in den Keller.
Also, was hab ich jetzt?
Die Motive
- Neugier
- Lust am Spiel
- Freude am Analytischen
- Aggression
- Macht
- Anstatt -Erleben i.S. von Antevision zur Herstellung von Sicherheit
scheinen, wenn man voraussetzt, dass die Hypothesen tragfähig sind, bedeutsam zu sein beim Krimi-Schreiben.
Ein bisschen überrascht bin ich schon, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass Lust am Spiel und Freude am Analytischen bei so vielen Autoren erheblich sind.
Ich schau noch einmal auf die Fragen und finde 8, 13 und 14, die beinahe hälftig positiv und negativ beantwortet werden.
Motive:
Frage 8 (Ich schreibe Krimis, weil ich über die Arbeit am Krimi das Verhalten von Menschen verstehen will.): Neugier, Reflexion;
Frage 13 (Ich schreibe Krimis, weil ich so die Tat für mich und andere besser verstehbar machen will.): Reflexion, Hilfe für andere, Bindung in der sozialen Gruppe;
Frage 14 (Ich schreibe Krimis, weil ich die Bedeutung von Gewalt in der Gesellschaft abbilden und begreifbar machen kann.): Hilfe für andere, Bindung in der sozialen Gruppe.
Hier halte ich es für möglich, dass auch Sicherheitsmotive in folgendem Sinne zugrunde liegen: Ich weiß oder lerne, wie Gewalt funktioniert und kann, wenn ich es aufschreibe, mich und/oder meine soziale Gruppe besser davor schützen.
Gewiss hätte es noch andere Antworten auf die Frage „Warum schreibst du Krimis?“ gegeben. Ich habe vielleicht nicht alle mitbekommen in dem Stimmengewirr. Eine wurde mir beim Rausgehen nachgerufen, jetzt fällt es mir wieder ein. „Ich schreibe Krimis“, rief jemand: „weil ich nicht Gitarre spielen kann.“ Scherzkeks!
Aber gesagt ist gesagt, also nehme ich es ernst. Welches Motiv steckt drunter? Extroversion und Statusstreben hielte ich für möglich. Ohnehin hätte ich erwartet, dass Status eine wichtigere Position einnehmen würde. Ist nicht erfasst, sei’s drum.
Ich lehne mich zurück und leere das Bier in einem Zug. Aha. Nun weiß ich also das.
Und wie geht es weiter? Alle Motive eignen sich prima zum Krimi-schreiben. Es kommt halt auf das Maß an. Ähm, is klar. Wie kommen wir nun in größerem Umfang zum guten Krimi? Motive sind individuelle Dingerchen, aber sie können auch extern beeinflusst werden.
Wenn nun jede für sich schauen würde, was sie am meisten antreibt, könnte sie sich den Motiven widmen, die sie nicht bevorzugt und die auf ihre Relevanz im nächsten Krimi prüfen, sich quasi motivieren oder motivieren lassen. Also was ich meine: Wenn ich z.B. primär analytisch und spielerisch motiviert bin, kann ich ja mal gucken, in welchem Maße das Sicherheits- oder Altruismusmotiv eine Rolle für mich spielt und ob es dem Text nützen würde, diese Aspekte oder eben andere im Krimi umzusetzen.
Dass für einen „guten Krimi“ neben der Motivation noch andere Faktoren eine Rolle spielen, hab ich völlig außer Acht gelassen. Mensch, klar! Ich schlage mir vor die Stirn. Fähigkeiten und Fertigkeiten, Geduld und Zähigkeit und ein klitzeklein bisschen Talent.
Ich starre auf meine Bücherwand und weiß, dass da ein paar wirklich gute Krimis stehen, erkennen kann ich die Namen der Autoren nicht. Wegen des Biers. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal die Fragestellung ändern: Wie viel Alkohol braucht resp. verträgt eigentlich ein guter Kriminalroman? Schließlich kann man alles zueinander in Beziehung setzen.
Zwar bin ich kein Krimi-Schreiber, auch kaum Krimi-Leser – eher von der Gitarren-Fraktion -, doch diesen Beitrag finde ich gut gelungen. Ein schön geschriebenes Stück zur empirischen Sozialforschung und zum Milieu der Büchermacher*innen.
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dankeschön 🙂
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Das ist ja mal eine wirklich interessante Umfrage (und dann auch noch so gut umgesetzt) – ich selbst würde wohl niemals einen Krimi schreiben (da fehlt mir die passende Geisteshaltung zu fürchte ich), aber ich finde es extrem spannend zu sehen, was Krimi-Autoren motiviert. Vielen Dank also für diese Erkenntnisse 🙂
Liebe Grüße,
Myriam
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Freut mich.
Ich weiß aber gar nicht, was gute Kriminalliteratur von guter Literatur unterscheidet. Ich würde mal sagen: Nix.
liebe Grüße zurück.
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