Rezension: „Die Lieferantin“, Zoë Beck

DownloadSchmerzfreiheit und Schlaf für alle!

Unter Umständen gibt es keine Alternative für einen gebeutelten Gastronomen, als den persönlichen Schutzgelderpresser im eigenen Betonboden zu versenken, selbst wenn man sich damit akustische Intrusionen einhandelt oder sich die Gewaltexzesse im postbrexitischen Königreich zur Last legen muss, wie Leigh – freundlich, kompetent, schwul – das egozentrisch tut. Denn der Erpresser hatte eine alteingesessene, exzellent vernetzte Organisation hinter sich, die sich nicht gern in die Suppe spucken lässt. Schon gar nicht von jemand Neuem, der ihr den Gewinn aus Drogengeschäften schmälert und auch noch eine Frau ist, die sich im Darknet „TheSupplier“ nennt, wie der Boyce-Clan entdecken wird.

Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft. Londons Straßen werden vom rotweißblau-nationalistischen Mob beherrscht, der Leute wie die gebildete, schwarze Mo offen schikaniert, bezahlt vielleicht von der Regierung, wer weiß das schon, die ihren „Druxit“ mittels Referendum durchsetzen will – eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Drogen jeglicher Art. Das Ziel: Härtere Strafen für Dealer und User, keine soziale und medizinische Hilfe für Süchtige. Die Gegenbewegung fordert die Freigabe aller Drogen für die mündigen User*innen (jeder darf seinen Körper schädigen, wie er will, mit sauberem Stoff, ohne Beschaffungskriminalität und deren Folgen) und rüstet auf – ideologisch, juristisch, caritativ. Oder per Aufklärung in einer Art Beipackzettel im Darknet: Wirkung, Nebenwirkungen, Risiken werden ebenso verhandelt, wie ein wohlsortiertes Angebot offeriert und im Bedarfsfalle portionsweise und diskret zugestellt wird, mit Mini-Hightech-Drohnen, von „der Lieferantin“ samt Marketingstrategie und Vertriebsweg ausgeklügelt. Ein tolle Sache das, weil sie das Gegenreferendum zum „Druxit“ finanziert. So weit, so absurd.

mohnDumm nur, dass die Boyce-Leute dem Zulieferer Gesicht und Hände zerschlagen und ihn in die Themse treiben. Das bringt Declan, den jüngsten Spross der Boycens in Zugzwang, sich seinem Alten gegenüber beweisen zu müssen und beschert der „Lieferantin“, Ellie heißt sie, Versorgungsengpässe. Genaugenommen haben Ellie und ihre Mitstreiter nur Altruistisches im Sinn – Selbstbestimmung über den eigenen Körper, über Abhängigkeiten und Betäubungswünsche, sieht man von den Machtansprüchen ab. Angesichts von Armut und Perspektivlosigkeit bieten die guten alten Opioide Inseln nostalgischer Wärme. Schmerzfreiheit und Schlaf für alle!

Zoë Beck gelingen differenzierte Charaktere, die sich durch soziale Wüsten im politisch tiefgekühlten Großbritannien schlagen müssen, allesamt funktionalisiert, bis jede*r von ihnen Gewalt als Wahl versteht. Und anwendet. Zivilisatorischer Firnis hält ihre Ideologien zusammen, er reißt, wenn der Hass darüber flackert. Grimmige Komik entsteht daraus. In der ubiquitären Selbstverständlichkeit von Gewalt liegt das eigentliche Grauen. Und die Stärke dieses Romans. Die wird durch die machtvollen Frauenfiguren, die skrupellos, ängstlich, ambitioniert, lebendig eben sein dürfen, gestützt. Sicher mit Blick fürs Detail, aber vor allem pointiert, lakonisch, ja minimalistisch entfaltet die Autorin eine Welt, aus der jeglicher sozialer Kitt herausgebröckelt ist, aus der Freundschaft und Liebe emigriert sind – eine Welt, in der wir leben werden. Wenn wir nicht aufpassen.

Zoë Beck. Die Lieferantin. Roman. Suhrkamp Berlin 2017, 326 Seiten, 14,95 Euro

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