Erfreulicherweise durfte ich Hans Zengeler ein paar Fragen stellen:
Würden Sie mir einige Eckdaten nennen, die Ihr Leben bezeichnen?
Hans Zengeler, 1945 in Ebingen (heute Albstadt) geboren. Nach Schule und Studium der Rechtswissenschaften und Psychologie verschiedenste Tätigkeiten. Lebt seit 1985 als freier Schriftsteller in Ludwigsburg. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter zwölf Romane sowie Erzählungen, Satiren, Hörspiele. Autor der Serie „Begriffsfragen“, die vom Hessischen Rundfunk zwischen 1981 und 2001 produziert worden ist. Zuletzt erschienen: Die Josef-Bloch-Trilogie (2010-2013). Mehrere Auszeichnungen, u. a. Großes Literaturstipendium des Landes Baden-Württemberg, Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg, Erzählwettbewerb-Preis und Arbeitsstipendien.
Sie haben den größten Teil Ihres Berufslebens der Schriftstellerei gewidmet, aber es gab auch Ausflüge in andere Berufe. Welche waren das?
Eine Vielzahl von Tätigkeiten, vom Arbeitsvorbereiter in einer Spiralbohrerfabrik, über den Landbriefträger, Güterbodenarbeiter und Night Manager eines 3-Sterne-Hotels bis hin zum freien Mitarbeiter einer Wochenzeitung.
Gab es ein Ereignis, das Sie bewog, Schriftsteller zu werden, oder war es vielmehr eine zwangsläufige Entwicklung?
Ich denke, es führte zwangsläufig da hin, obschon ich es bereits als 14jähriger reizvoll fand, in dicke, leere Kassenbücher (z. B.) Texte reinzuschreiben, denen ich Romantitel gab. Ich erinnere mich, dass einer dieser ersten Titel „Rost“ lautete. Da stand also: „Rost“ – Roman von Hans Zengeler. Aber schließlich waren es sowohl die eigenen Lebensumstände als auch die damalige Zeit selbst (1968-70), die nach dem Aufschreiben verlangten. Und damit beginnt ja das Schreiben, mit dem Aufschreiben. Hinzu kam, dass ich sozusagen von außen zum Schriftsteller ernannt wurde. Eines Tages erhielt ich einen Brief von Martin Walser (dem irgendjemand meine Texte geschickt hatte), der meinte, ich sei ein Schriftsteller, meine Sprache reiche deutlich über das Amateurhafte hinaus.
Wann haben Sie begonnen, sich mit Literatur zu beschäftigen?
Zu lesen begann ich früh. Wobei mir auffiel, dass ich ganz andere Bücher las, als meine Schulkameraden, also nicht Karl May oder dergleichen, sondern zunächst Bergsteigerbücher, beispielsweise über die Erstbesteigung der berüchtigten Eiger-Nordwand, wobei ich glaube, dass mich die Beschreibung dieser extremen Situationen, das Schaffen des eigentlich Unmöglichen, die Lebensgefahr letztlich interessierte. Das war also Ende der 50er Jahre. Danach hatte ich, Eintritt in die Pubertät, eine Theodor-Storm-Phase („Psyche“, „Aquis submersus“ „Schimmelreiter“), ich wanderte gewissermaßen lesenderweise aus von der kargen, hügeligen Schwäbischen Alb in die norddeutsche Tiefebene. Es folgte eine Sartre-Phase („Die Wörter“), eine Henry-Miller-Phase (Die Wendekreis-Romane), daneben noch Handke („Die Hornissen“), Max Frisch, Dürrenmatt, Martin Walser und nicht zuletzt Uwe Johnson …
Was war Ihr erster Erfolg?
Die Veröffentlichung einer Geschichte mit dem Titel „Ewige Begegnung“ 1976, in der damals renommierten Wiener Literaturzeitschrift Wespennest. Da prangte mein Name doch tatsächlich neben dem von Charles Bukowski.
Was war Ihre erste Niederlage?
Schwierige Frage. Es gab so viele. Vielleicht könnte ich sagen, dass meine Geburt eine erste Niederlage war, denn ich wollte nicht eigentlich zur Welt und wehrte mich vehement? Brüche gab es viele, Richtungsänderungen usw., die haben alle Eingang ins Schreiben gefunden. Schreibend etwas überwinden, korrigieren, einen Sinn geben, oder – um der Ironie des Robert Walser zu folgen – Ja zu sagen, zu dem, was einen verneint …
Wie hat sich das Schreiben auf Ihre persönliche Entwicklung ausgewirkt?
Es hat mir vor allem die Augen geöffnet. Ich betrachtete einen Roman (für mich) dann als gelungen, wenn ich danach nicht mehr derselbe war. Sich schreibend verändern, darauf läuft es hinaus …
Wenn Sie heute noch einmal die Wahl hätten, welchen Beruf würden Sie wählen?
Ich hatte einmal die Wahl, mich zwischen dem vollkommen ungesichterten Dasein eines Schriftstellers und dem eines festangestellten Tageszeitungsredakteurs zu entscheiden. Also das war eine Entscheidung zwischen hin und wieder ein Honorar bekommen oder monatlich regelmäßig 4000 Mark brutto. Das, wusste ich, war der Point of no return. Man weiß ja, wie ich mich entschieden habe. Manches Mal schalt ich mich deswegen einen Idioten, aber letztlich bedauerte ich es nicht, die unsichere Existenz gewählt zu haben. Sie war einfach spannender. Heute wäre ich gerne ein Schriftsteller mit den ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen eines Ministers (der bekanntermaßen schon nach 2 Dienstjahren Pensionsansprüche erwirbt.)
In Ihrem letzten Werk, der Bloch-Trilogie, spielt das Scheitern eine wichtige Rolle. Welchen Stellenwert messen Sie dem Scheitern im realen Leben zu?
Nur das Scheitern bringt einen weiter. Wem immer alles gelingt, der erlebt, denke ich, einen Entwicklungsstillstand. Das Scheitern und das Trotzdem oder das Jetzt erst recht – all das spielt eine zentrale Rolle in meinem Leben. Ich hatte mal einen Freund, dem gelang wirklich auf Anhieb alles, er schritt sozusagen ungestreift durchs Leben, auf dem Weg nach Oben. Als er dann oben angekommen war und er einsehen musste, dass es partout nicht mehr weiterging, fiel endlich sein Blick auf sich selbst, da hielt er sich schon in Rentennähe auf, und er bekam es mit der Angst zu tun, musste er doch erkennen, dass er nichts mehr war, ein Niemand, wenn man den Beruf von ihm abzog. Er hatte so gut wie nicht gelebt, eine tragische Geschichte.
Haben Sie einen Lieblingsort, an dem Sie Ideen entwickeln?
Überall dort, wo man liegen kann. Der Zustand, in dem die Ideen aufblühen, ist der Halbschlaf, der Tagtraum, das sich Treiben lassen.
Haben Sie Rituale, die Sie beim Schreibprozess pflegen?
Wenn ich einmal den ersten Satz gefunden habe und weiß, dahinter lauert der Text, der nur noch aufgeschrieben werden muss, dann zögere ich das Beginnen lustvoll hinaus.
Gibt es Schriftsteller, die Ihnen Vorbild sind oder waren?
Sagen wir: an denen ich mich orientiert habe. Da war in erster Linie Max Frisch, dessen Spiel mit Biografie und Identität mich fasziniert hat, beispielsweise seine Aussage: „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung.“ Genau das war es. Immer. Daneben gab es natürlich auch noch andere, deren Leben und Werk bzw. die Widersprüchlichkeit zwischen Leben und Werk mich beschäftigten …
Was lesen Sie gern? Oder was muss ein Roman für Sie haben, damit Sie ihn mögen?
Die Sätze, die Worte, die Geschichte muss leben. Ich mag es nicht, wenn ich sehe, hier hat einer krampfhaft etwas erfunden, um den künstlerischen Anspruch zu demonstrieren bzw. hochzuschrauben. Das ist für mich dann Kunst ohne Leben und ödet mich an.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Romanprojekt planen? Planen Sie?
Nein, ich bin weder Planer noch Architekt. Ich kann mich nicht hinsetzen und sagen: So, jetzt habe ich eine Idee und mache einen Roman daraus. Das würde schiefgehen. Ich spiele Ideen im Kopf durch, soll heißen, ich lasse sie, die Idee, die Person da einfach machen. Entweder sie fängt zu erzählen an oder nicht. In einer nächsten Phase träume ich einzelne Passagen, Szenen, Ereignisse usw. All das trage ich lange Zeit mit mir spazieren, eben so lange, bis da einer steht und beispielsweise sagt: Ich bin Josef Bloch, und ich habe dir was zu erzählen …
Haben Sie eine Idee für einen nächsten Roman im Kopf?
Im Moment nur einen Titel, sozusagen das Kleid der Geschichte. Er lautet: „Noch ein wenig Zeit“. Dann dürfen wir gespannt sein, wer in diesem Kleid stecken wird. Haben Sie vielen Dank für das Interview, und eine inspirierte und erfolgreiche Zeit Ihnen!
Rezension „Die größte Liebe aller Zeiten“
Rezension „Das letzte Geheimnis“
Rezensionen zu Werken Hans Zengelers
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