Marmor vs. Fleisch – „Die Venezianerin und der Baumeister“ von Gudrun Lerchbaum

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Gudrun Lerchbaum, Die Venezianerin und der Baumeister, Roman, Aufbau Verlag Berlin, 2015, S. 448, 9,99 Euro

Vier oder fünf historische Romane mussten durchlitten werden, um ein veritables Vorurteil gegenüber dem Genre aufzubauen, dessen Fortbestand mit Gudrun Lerchbaums Debütroman nun in Frage steht.

Andrea Palladio tritt als Lehrling in eine Steinmetzwerksatt in Padua ein. Wegen seines Talents wird er nach Vicenza in eine renommierte Werkstatt gegeben. Dort beginnt seine Karriere als Baumeister und Architekt, und die Geschichte des Romans. Über die kulturhistorische Figur Palladio findet sich Erhellendes im Nachwort und auf dem Blog „Genussliga“ – hier.

In der Mitte des 16. Jahrhunderts, dem finsteren Mittelalter entkommen, weht der milde Wind der Renaissance durch die Städte Norditaliens. Unberührt davon ist zunächst das Leben des Waisenkindes Mariangela, das von einer Tischlerfamilie gerettet und aufgenommen wird. Nicht bequem, aber auskömmlich geht es zu, bis die Mutter, den Sohn Fabio an der Hand, mit einem Lautenspieler durchbrennt, der Vater am Suff stirbt und die Mädchen, die sich schwesterlich zugewandt sind, sich als Mägde verdingen müssen. Opulent bebildert die Autorin das straff geregelte urbane Leben, dessen Überwachung so effizient ist wie der Staatsschutz mit einem Nachrichtensystem so fix wie Twitter. Mariangela verliebt sich in Andrea, die Schwester heiratet ihn. Durch gewalttätige, ja tödliche Umstände und deren Geheimnis, werden Mariangela und ihr Sohn Teil der Familie Palladio. Um die Gemeinschaft nicht zu gefährden, muss sich das Begehren beugen. Andrea widmet sich derweil den wichtigen Dingen, katalogisiert Bauwerke in Rom und taktiert mit den Mächtigen, während die Frauen sich um die Nebensächlichkeiten wie Überleben und Kinder großziehen kümmern, rechtelos und arm, aber nicht ohne Aufbegehren und Ironie. Dabei zeichnet die Autorin differenzierte, lebendige Charaktere in ein Dilemma, das uns bis heute vertraut ist. Palladio ist kein Dreckskerl, auch wenn er seine Patchworkfamilie ungeschützt daheim lässt und in Rom das pralle Leben genießt neben seiner Arbeit. Er hat nur mehr Geld. Und Macht.

Eine gut situierte Freundin gewährte Mariangela Bildung, oder Halbbildung, die zu komischen Momenten führt, als ein Kind auf den Namen Silla notgetauft wird. Und sie weckt Sehnsucht in der jungen Frau. Nach Jahren findet Fabio, der Sohn des Tischlers, zurück nach Vicenza und verliebt sich in Mariangela, die eher als Magd denn gleichberechtigt in der Familie lebt. Die Frauengestalten sind keine einzelkämpferischen, siegreichen Heldinnen wie „Die Päpstin“ z.B. eine ist. Sie sind Arbeiterinnen für die Zukunft, Geschlagene, Rivalinnen, Liebende, Aufbegehrende und Närrinnen, normale Weibsbilder eben. Und so endet der Roman auch konsequent. Weiterleben.

Die Wienerin Gudrun Lerchbaum, selbst Architektin (und Mutter), erzählt in üppigen, deftigen, zarten und treffenden Bildern, gewandt und ironisch, nicht nur die Geschichte eines innovativen, großartigen Baumeisters, sondern auch die der Menschen, deren Fortbestehen nicht in Marmor verewigt ist, sondern in uns.

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