Sangre Kosher: Ruth Epelbaum und die Zwi Migdal von María Inés Krimer – das Skandalon der jüdischen Mafia

María Inés Krimer, Sangre Kosher: Ruth Epelbaum und die Zwi Migdal, Penser-Pulp-Reihe, Diaphanes, Zürich-Berlin, 2014, Übers.: Peter Kultzen, Hrsg. Thomas Wörtche, S. 200, 17,95 Euro

Ruth Epelbaum wird von Chiquito Gold beauftragt, dessen Tochter zu suchen. Es hat sich in der jüdischen Gemeinschaft von Buenos Aires herumgesprochen, dass die zwangspensionierte Archivarin Detektivaufträge annimmt. Lieber wäre sie mit den aus ihren Recherchen erarbeiteten Vorträgen über die Zwi Migdal, die jüdische Mafia, die sich in den 1930 Jahren mit Menschenhandel und Prostitution finanzierte, weiterhin durchs Land gezogen, nur empfand der Vorstand ihrer Heimatgemeinde in Paraná das als Nestbeschmutzung.

Ganz sicher, weshalb Ruth diesen Auftrag annimmt, ist sie sich nicht. Da gibt es die Zugehörigkeit zum Jüdischen, eine bis ins Genom verwurzelte Loyalität, die dem Judentum sein Fortbestehen sicherte, ein Motiv, das im Roman nur subcortical zu lesen ist. Und es keimt der Verdacht (und die Befürchtung) auf, dass die Zwi Migdal doch nicht nur Geschichte sein könnte. In dem Falle wäre Chiquitos Tochter in Gefahr. Ruths Recherchen führen sie in ein Fitnessstudio, in dem sie prompt auf die Leiche eines Freundes der Tochter trifft. Außerdem findet sie die Leiche einer jungen Frau im Fluss. Gladys, die Haushälterin mit einem Ehemann bei der Polizei, besorgt ihr den Obduktionsbefund. Überhaupt unterstützt die „Schickse“ sie unorthodox. Interessant, dass Ruth Gladys „ihre Schickse“ nennt, denn „Schickse“ ist in jüdischen Kreisen negativ konnotiert. Es ist die Bezeichnung für eine nichtjüdische Frau, die den moralischen Standards nicht entspricht, „unrein“ ist, ein loses Weib. Indem Ruth den Begriff verwendet, akzeptiert sie die Rolle der Frau im Judentum, die sie auf der anderen Seite kritisiert: „Dass die Zuhälter keinerlei Hemmungen zeigten, Frauen aus ihrer eigenen Gemeinschaft auszubeuten, musste auch mit der Stellung der Frau in ihrer Religion – in der Synagoge – zu tun haben.“ Im orthodoxen Judentum agieren Frauen und Männer getrennt. Beim Gottesdienst sitzen die Frauen auf der Empore. Es gibt „reine“ und „unreine“ Tage für Sex und für’s Händeschütteln zur Begrüßung. Prinzipiell ist die fruchtbare Frau eher „unrein“, weil man ja nicht weiß, ob sie gerade menstruiert. Das Lernen, das einen sehr hohen Stellenwert einnimmt, ist den Männern vorbehalten. Frauen, heißt es, seien vom Lernen „befreit“ zugunsten der Hausarbeit, versteht sich. „Schickse“ ist gegenüber Gladys also eine doppelte Botschaft einerseits und eine Art „Identifikation mit dem Aggressor“ andererseits. Tja, auch die aufgeklärte, illusionslose Ruth kann halt nicht aus ihrer Haut.

Atmosphärisch, alltäglich, unaufgeregt erzählt die Autorin vom Leben in Buenos Aires. Mittenhindurch windet sich der Kriminalfall, der ans organisierte Verbrechen gebunden ist. Geschickt verknüpft sie Historisches mit Aktuellem auf der Grundlage ökonomischer Gegebenheiten. Man weiß nicht, welchen Namen die Zwi Migdal jetzt trägt. Mag sein, sie importiert nicht mehr brave Russinnen aus den Schtetln, sondern rekrutiert den Nachschub an „Frischfleisch“ gleich aus den Armutsvierteln von Buenos Aires und den angrenzenden lateinamerikanischen Staaten. Gibt es existenzielle Not, finden die absurdesten Heilsversprechen Akzeptanz. Damit wird das Skandalon der Existenz einer jüdischen Mafia herunter gebrochen auf den ganz normalen Wahnsinn ungerechter Verteilung von Ressourcen im Kapitalismus. Anders gesagt: Es ist völlig wurscht, welche Religion, Ideologie, Weltanschauung du favorisierst, entscheidend ist, ob du was aufm Teller hast oder nicht. Genau das erzählt María Inés Krimer unspektakulär, witzig und pointiert.

 

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