Üppig, bunt, absurd
Dem „großen Kakadu“ zu opfern, auf dass er das Volk vor dem Untergang bewahre, ist eine Möglichkeit, mit Angst und Unsicherheit in fragilen Zeiten umzugehen, wenn vielleicht keine recht gelungene, wie man der ersten Geschichte in Jan Lindners gerade erschienen Erzählband entnehmen kann. Zur Vorsorge vor Ungemach stellt der Autor „Sieben deftige Gründe, warum man nicht mit Brot über die Straße gehen sollte“ zur Verfügung, außerdem berichtet er über den katastrophalen Spielverlauf „Eintracht Prügel vs. Hangover 96“, die „Im Eifer des Gezechs“ aneinander geraten. Schon die Titel der Erzählungen versprechen Absurdes – und sie enttäuschen nicht. Da wird Mareike von einer Matrjoschka mit Tierornamentdekor auf einem Jahrmarkt entzückt und ihr Papa verwandelt sich für sie in jedes Tier, das die Kleine in ihm sehen mag. Wenn das keine Liebe ist?
Die Liebe windet sich als „roter Faden“ (S. 53 „Der rote Faden“) durch Jan Lindners groteske Miniaturen, auch in der Geschichte von „Leilah“, einer alltäglichen Begebenheit eigentlich: Der Erzähler zieht mit seiner Peergroup um die Häuser und schwärmt, sich selbst vergessend, für die Schöne – romantisch geradezu. Konsequenterweise nutzt der Autor einen Duktus, der in der Romantik zu verorten ist, nicht ohne ihn ironisch zu brechen. Ein Beispiel: „Einige wenige Stunden werde ich die Gunst meines Bettes genossen haben, als mich Etienne via Handy am frühen Nachmittag aus dem Tiefschlaf riss, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, dass wir es bei diesen gar herrlichen Wetterverhältnissen keineswegs versäumen sollten, unsere verkaterten Ärsche in den Park zu bewegen.“
Nicht nur spaßeshalber wird der leicht angestaubt und dadurch komisch wirkende Stil bemüht, bedenkt man, dass die Groteske auch in der Romanik wurzelt. Wie Inhalt und Form sich kunstvoll verweben lassen, hat Jan Lindner bereits in seiner brillanten Sonettsammlung „Der Teddy mit den losen Kulleraugen“ gezeigt.
In den vorliegenden Geschichten findet sich Alltagstragik und Philosophisches. In „Der kolorierte Trunkenbold“ stellt sich die Frage: Wie konturiert sich das Selbst in Raum und Zeit? So spröde die Fragestellung klingen mag, so opulent ist sie in Nebel und Rausch verhüllt, um schließlich zauberisch freigelegt zu werden.
Komische, irritierende Wortspiele und Phrasen, die knapp neben dem zu Erwartenden aufsetzen, kommen wunderbar schräg und durchaus erhellend daher.
Selbstverständlich darf man das Bändchen mit seinen fein ziselierten, dunkelbunten Erzählungen überall auf der Welt lesen. Aber den größten Genuss wird man erlangen, blättert man in lauschiger Frühlingsnacht unter einem Flieder im Leipziger Klara-Zetkin-Park darin. Mit ´ner Pulle „Sternburger“ in der Hand versteht sich.
Jan Lindner, Auf Teufel komm Rausch, Erzählungen, Edition Subkultur, Berlin 2016, 128 Seiten, 9,99 Euro
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