Märchenhaft & sinnlich – „Das Zigarettenmädchen“, Rezension

cover_kumala-zigarettenmädchen-print240-163x260Rathi Kumala, Das Zigarettenmädchen, Roman, Culturbooks Hamburg, 2015, Aus dem Indonesischen: Hiltrud Cordes, 308 Seiten, 17,90 Euro

Der Vater liegt im Sterben und die drei Söhne ziehen los, um eine Aufgabe zu lösen. Was nach Märchen klingt, ist es auch, jedenfalls der Struktur nach. So fühlt man sich unmittelbar kulturell heimisch im fernen Jakarta, als Tegar, Karim und Lebas aufbrechen, um nach Jeng Yah zu suchen. Nach der Frau, deren Namen der Senior des erfolgreichen indonesischen Tabakkonzerns murmelt, obwohl ihm zahlreiche Worte schlaganfallbedingt abhanden kamen. Tegar leitet inzwischen das Unternehmen streng und wenig freudvoll, Karim unterstützt ihn, Lebas versucht sich im Filmgeschäft. Bei den Dreien ist die Rollenverteilung eindeutig: Der Älteste übernimmt Verantwortung, der Jüngste ist spielerisch kommunikativ unterwegs, was zwangsläufig zu Konflikten führt, die Karim ausgleichen muss.

Rathi Kumala, 1980 in Jakarta geboren, bedient sich traditioneller Erzählmittel und eines unprätentiösen Tons. Der Charme des Romans entspringt der Leichtigkeit, mit der die Geschichte zweier Freunde, die zu Feinden werden, und die der Lebensumstände im Inselstaat über drei Generationen hinweg erzählt wird. Beiläufig streut die Autorin  Informationen zu politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen ein, die die Schicksale der von der Zigarettenproduktion lebenden Bevölkerung bestimmen. Zum Beispiel wird ein Zusammenhang zwischen Sucht und Ideologie hergestellt: Die kommunistische Partei vertreibt ihre eigene Zigarettenmarke als Werbemittel. Katastrophal das Ende der kommunistischen Ära durch den Militärputsch 1965. Das  Massaker, das die Militärs anrichteten, um General Suhartos Macht zu sichern, forderte etwa eine Millionen Tote. In den Wirren dieser Zeit verliert „das Zigarettenmädchen“ mit dem süßesten Speichel, mit dem je Zigarettenpapier angeleckt wurde und Mitinhaberin einer Zigarettenfirma, ihren Geliebten aus den Augen, bis sie ihn Jahre später wieder trifft. Auf seiner Hochzeit.

Natürlich ahnen wir, wer dieser Geliebte ist, nicht aber was ihn bewegt, seine letzten verfügbaren Worte zu verwenden, um nach einer Frau zu verlangen, die er Jahrzehnte nicht gesehen hat und über deren Namen sich seine Angetraute derart ärgert, dass sie den Söhnen untersagt, ihn zu nennen, als könne sie so die Geister der Vergangenheit bannen.

Nicht unerwähnt bleiben soll die sinnliche Komponente, die sich durch den Roman zieht wie sich kräuselnder Rauch und sein Duft nach Nelken. Das Knacken der Nelken in der Glut gab den Zigaretten lautmalerisch den Namen „Kretek“. Hilfreich gegen Asthma soll das verbrannte Gewürz sein, glaubte man. In Zeiten, in denen Sinnliches entweder genormt an gesundheitlich Unbedenkliches gedacht oder a priori als gefährlich eingestuft wird, ist ein Buch, das den Genuss des Tabak feiert äußerst ungewöhnlich.

„Das Zigarettenmädchen“ wurde im Oktober 2015 auf der Frankfurter Buchmesse, Indonesien war Gastland, als erstes Print-Produkt des jungen Culturbooks-Verlags präsentiert. Selbstverständlich ist der Roman auch als eBook zu haben. Das Verlagskonzept ist einfach: „Wir machen, was uns gefällt.“, schreiben Zoë Beck und Jan Karsten auf ihrer Website.

Bleibt zu wünschen, dass viele Leser Gefallen an dem „Zigarettenmädchen“ finden werden, denn es ist ein bezauberndes, leichtfüßiges Buch, das die Realität nicht aus dem Blick verliert.

1 Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar