Fragen, keine Antworten! Eine Rezension zu „Penser Polar“

Thomas Wörtche, Penser Polar, Textsammlung, Polar Verlag, Hamburg 2015, 166 Seiten, 12,90 Euro

Was, zum Teufel, schreibt man zu Texten über Texte und Kontexte, die einen beim Lesen zu ständigem idiomotorischen Nicken zwingen und einen Sachen wie Jo und So isses und Ach? und Muss ich nachlesen sagen lassen?
Entstanden ist die vorliegende Textsammlung aus den Kolumnen der seit 2013 monatlich erscheinenden Polar Gazette. Ihr Autor, Thomas Wörtche, befasst sich als Kritiker so ungefähr seit Anbeginn der Zeit (sorry!) mit Kriminalliteratur.
Aus diesem fundamentalen Wissen heraus droht er im Vorwort an, dass wir nicht mit Antworten rechnen können, weder darauf was „Krimi“ ist, will, kann, muss, darf, noch darauf, was Elemente, Aspekte, Begriffe, die irgendwie mit „Krimi“ zu tun haben, müssen – können – sollen …

Vielmehr ist die Frage der Plan. Doch die Fragen stellen sich dergestalt, dass man, wollte man aus den Texten Antworten generieren, im multiple choice versagen würde, so viele (Denk-) Möglichkeiten eröffnen sich. Überschriften wie „Theorie“, „Familie“, „Unterwegs“ kommen ganz harmlos daher. Es gibt sogar Verheißungsvolles im Hinblick auf Beruhigung durch Sicherheit und Ordnung in der Welt wie „Liebe“ und „Rettung“, also überschriftenmäßig. Aber das ist ein Trick! Denn die einzige Klammer, das einzige Kontinuum, die stabile Instabilität, psychokategorial ausgedrückt, der Texte, ist ein grelllettriges NEIN. Ein Nein zu dualistischen Weltbildern und deren kultureller Artifizierung. Ein Nein zu („Krimi“-) Theorien, die wegen mangelnder Kriterien unmöglich zu bilden wären. Ein Nein zur Simplifizierung überhaupt, gilt es komplexe Vorgänge, Umstände, Zusammenhänge zu verstehen. An der Stelle kann keinesfalls der berühmte „Geist, der stets verneint“ zitiert werden, denn der würde seinem Wesen nach frühkindlich in Gut und Böse spalten, eine Vorstellung von der ausdrücklich abgeraten wird. Vielmehr wohnt diesem Nein die Einladung inne, das Unerklärliche, Bunte, Krasse, Feine, Schrottige, Defekte, Wunderbare … mosaikhaft nebeneinander stehen zu lassen und als Möglichkeiten, die Welt zu betrachten, zu akzeptieren, durchaus nicht beliebig, sondern dem Respekt vor dem Sosein der Einzelnen beigefügt. Wem das alles zu ernst erscheint, lese das Kapitel „Komik“, in dem alles lustig, putzig, „humoristisch“ Platte vom ernsthaft Komischen als Qualitätskriterium für Kriminalliteratur abgegrenzt wird, ein Kapitel übrigens, in dem das Komische selbsterklärend auftritt. Einzig der Umgang mit der „Liebe“ wirkt inkonsequent, assoziiert man sie mehr, so in Anführungszeichen (!), mit der „romantischen Liebe“ als ordnungsstablisierendes Konstrukt und weniger als komplexes somatopschychosoziales Phänomen, obwohl im letzten Satz betont wird: „‘Liebe‘, […] ist nichts für Weicheier allerlei Geschlechts.“ Nu.

Jedenfalls findet sich in den Texten eine Fülle von Verweisen auf Literatur, Film, Musik (s. Kapitel „Jazz“), denen zu folgen, sich lohnt. Aber man kann das Bändchen auch so lesen, sich unterhalten lassen, sich an den blitzgescheiten Überlegungen und der brillanten Darstellung freuen. Es sei denn, man schreibt Kriminalliteratur, dann darf man sich auch freuen, aber in dem Falle ist es Pflichtlektüre!

2 Kommentare

  1. Nach den ersten Seiten, die ich gelesen habe, stimme weitgehend der Rezension zu. Allerdings werde ich mich nicht nur davon unterhalten lassen können. Manchmal bedarf es für einen Normalo – in Bezug auf literaturwissenschaftliche (Nicht-)Bildung – wie mich einiger Bemühungen, das Geschriebene zu verstehen. Aber die Mühe lohnt sich ob der „blitzgescheiten Überlegungen und der brillanten Darstellung“.

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